Wenn Lehrer wieder zu Schülern werden
Am 4. März 2024 führte eine Lehrerfortbildung das Kollegium unseres Gymnasiums in einen dreiteiligen Workshop zu Thomas von Aquin, dem Magister schlechthin, von dessen 750. Todestag – er starb am 7. März 1274 – uns nur drei Tage trennten. Zu seinen Füßen durften die Lehrer für fünf Stunden wieder Schüler sein und überlegen, worin ihre Tätigkeit eigentlich besteht.
1248: Das Jahr einer doppelten Grundsteinlegung
Lehren ist keine Technik, sondern eine Lebensform. Lehren geht mit der Person des Lehrenden einher. Wer Lehrer ist, muss dann auch wissen, was es heißt, Schüler zu sein, und jeder Lehrer war einmal Schüler. So befassten sich unsere Lehrkräfte in einem ersten Teil mit Thomas als Schüler und tauchten in den „Resonanzraum“ des Doctor communis – die benediktinische Ausbildungsstätte in Montecassino und die Förderung durch den heiligen Albertus Magnus in Köln – ein. Dabei wurde dargelegt, welches gigantische Werk Thomas vollbrachte, indem er die Errungenschaften des griechischen Philosophen Aristoteles in das christliche Gedankengebäude einfließen ließ. Dadurch legte er den Grundstein für die Rationalität und Wissenschaft der Moderne – parallel zur Grundsteinlegung des Kölner Doms im Jahre 1248, bei welcher Thomas von Aquin zugegen war.
Kann ein Mensch einen anderen belehren?
Diese für Lehrer entscheidende Frage war Ausgangspunkt der spannenden Überlegungen des zweiten Teiles. Während Averroes fälschlicherweise davon ausgeht, dass es nur einen Intellekt in allen Menschen gibt, und die Platoniker meinen, dass Lernen nichts anderes sei als ein Sich-Wiedererinnern, behauptete Thomas in seiner großen Dynamik die Möglichkeit eines jeden Menschen, sich Wissen aneignen zu können und Subjekt seiner eigenen Erkenntnis zu sein.
Diesen Wissenszuwachs im Schüler zu bewirken, ist Aufgabe des Lehrenden. Durch die Lektüre thomasischer Texte über den Lehrer wurde gemeinsam erörtert, welche Rolle Thomas dem Lehrer beimisst: Er führt seinen Schüler durch Impulse, Zeichen, Vergleiche oder Gegensätze zum Forschen und Nachdenken, wobei das vom Schöpfer gegebene innere Licht des Verstandes im Schüler die vorrangige Ursache seines Wissens ist. Anhand von allgemeinen Prinzipien und einer bestehenden Ordnung wird der Schüler durch den Lehrer befähigt, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen und Wissen zu generieren.
Dabei schaut der Lehrer nicht nur auf die Sache, sondern in das Gesicht eines Menschen. Indem der Lehrer sich an seinen Schüler wendet und seine Verstandestätigkeit in Bewegung setzt, wird er schöpferisch tätig, da er nicht nur Wissen ins Da-Sein ruft, sondern dieses verursacht. Dadurch nimmt er Anteil am Schöpfungsakt Gottes, denn Schöpfung ist Mitteilung von Da-Sein und Ursache-Sein. Ja, ein Mensch kann einen anderen belehren, und was „Lehrersein heute“ bedeutet, wurde im dritten Teil in regem Austausch reflektiert. Debet homo acquiere sapientiam cum aliis communicando (Thomas von Aquin): „Es gebührt dem Menschen, sich Weisheit anzueignen, indem er mit anderen austauscht.“ (MMH)
Bilder: Carlo Crivelli, Thomas von Aquin (1476); Marmorbüste von Aristoteles, römische Kopie nach dem griechischen Bronze-Original von Lysippos (um 330 vor Chr.); Benozzo Gozzoli, Triumph des Heiligen Thomas von Aquin über Averroes, Ausschnitt: Thomas zwischen Aristoteles und Platon (1468/84)
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